Um ano em Manaus (de)

Wie wars bisher?

366 Tage sind ist vergangen seit ich am 13. Juli 2011 auf dem Flughafen Eduardo Gomes in Manaus landete. Wie unzählige Immigranten in den letzten 500 Jahren vor mir, war auch ich voller Enthusiasmus und Energie einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Endlich war die Zeit des Wartens vorbei und ich konnte mit meiner geliebten Claudete zusammen sein. Zwar hatte 2006 ich nie gedacht jemals wieder nach Manaus zu kommen, aber da Claudete zu der Zeit in Manaus wohnte war es nahe liegend zunächst dort zu bleiben. Meine Planung war, dass ich ca. 6 Monate brauchen werde Fuß zu fassen und Arbeit zu finden - das hat auch ziemlich genau so lange gedauert.

Der eigentliche Grund meines Brasilienabenteuers war ohnehin unsere Hochzeit, und das war (und ist) jedes Abenteuer wert. Geld war kein dringendes Problem, ich hatte Erspartes und ohnehin konnte ich mich erst nach der Hochzeit auf Arbeitssuche begeben. Ich genoss die Zeit des “Dolce-Far-Niente” das nur von sporadischem bürokratischen Ärger unterbrochen wurde. Schon vor der Hochzeit ergab sich eine Möglichkeit einer befristeten Dozentenstelle für Softwaretechnik an der Universität. Da Claudete ohnehin noch ihre Dissertation fertig stellen musste war dies eine willkommene Gelegenheit. Ich war sehr optimistisch, da ich für meine Probevorlesung nur positives Feedback bekam. Aufgrund bürokratischer Hindernisse wurde leider nichts daraus und ich musste mich weiter der Arbeitssuche und als intelektuellen Ausgleich meinem kleinen Android-Projekt zuwenden. Immer noch genoss ich die Freiheit und mein Enthusiasmus war ungebremst, beflügelt von Nachrichten über das Brasilianische Wirtschaftswachstum und den Fachkräftemangel. Die folgenden Monate schickte ich meinen Lebenslauf und Bewerbungsschreiben auf unzählige (>100) Stellenausschreibungen. Leider blieben die Bewerbungen unbeantwortet, ich kann bis heute nicht sagen woran es lag. Kurz vor Weihnachten bekam ich Nachricht von einer Head-Hunter Agentur die für den Wissenschaftspark Itaipú Ingenieure suchte. Ich war Feuer und Flamme, die Stelle schien perfekt. Ich hatte ein erfolgreiches Interview mit der Dame der Agentur über Skype. Über Weihnachten passiert aber nicht allzu viel und die Dame hatte mich auf Januar vertröstet. Im Januar wurde ich angerufen aber leider war die Rufnummer unterdrückt und die Verbindung kam aus technischen Gründen nicht zustande…

Ich hatte aber Erfolg mit Bewerbungen auf Stellenanzeigen in der Zeitung und trat am 19. Januar eine Stelle als Koordinator für Elektronik am IATECAM an. Die Arbeit stellte mich schnell vor Herausforderungen wie ich sie aus Deutschland nicht kannte, so hätte ich zum Beispiel nie gedacht, dass eine Sendung von einfachen elektronischen Bauteilen drei Monate am Zoll hängen kann oder, dass es keine Vertriebsniederlassungen mit technischem Support im Umkreis von >1000km gibt. Dass ich pro Tag fast 12h ausser Haus war machte mir zu schaffen, zusätzlich zur Arbeit steckte ich morgens und abends 40 Minuten im Verkehr. Aber das Gehalt ist verhältnismäßig gut und wir sind in die Nähe meiner Arbeitsstelle in eine größere Wohnung gezogen. Meine Work-Life-Balance hat ich geringfügig gebessert, nun brauche ich zu Fuß nur 25 Minuten zur Arbeit, mit dem Auto 15.

Fallen auf dem Weg zur Arbeit, Löcher in der Strasse

Von meinem ursprünglichen Enthusiasmus leider nicht mehr viel übrig, in Manaus zu leben zehrt an meinen Kräften und ich habe noch keine Möglichkeit gefunden mich in meiner verbleibenden Zeit zu erholen. Ich war es gewohnt zum Ausgleich für die Büroarbeit abends eine kleine Radtour zu unternehmen oder zu joggen. Wenn ich keine Lust auf Sport hatte bin ich sehr gerne im Park auf der Wiese gelegen und habe gelesen und Leute beobachtet oder bin durch die Innenstadt geschlendert. Das Problem das sich mir hier stellt ist “wo kann ich hier diesem Zeitvertreib nachgehen?” Es gibt ein paar kleine Parks, z.B. Mindu und INPA, beide sind abends geschlossen. An der Ponta-Negra wird am Wochenende eine Spur der Straße für Radfahrer reserviert. Ich könnte mein Rad mit dem Auto zur Ponta-Negra nehmen und dort 2km auf- und abfahren oder etwas spazieren gehen. Eine andere populäre Alternative wäre Fußball zu spielen, aber Fußball war schon in Deutschland nicht mein Hobby. Ansonsten scheinen alle Aktivitäten mit Konsum verbunden zu sein. Eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung ist im Shopping-Center zu flanieren, ins Kino oder Bars zu gehen. So reduziert sich mein vorwiegender Zeitvertreib in Kneipen zu gehen. Das ist meist so lange entpannt bis jemand seinen Pick-up neben der Kneipe parkt und die Straße in mit Forró beschallt, egal ob ich es hören will oder nicht.

Es fordert einiges an Energie die wenigen “Attraktionen” die es in Manaus gibt zu besuchen. Obwohl wir sehr zentral wohnen ist es nicht einfach und schnell von A nach B zu kommen. Auf den öffentlichen Nahverkehr möchte ich nicht lange eingehen. Busse, der einzige Massentransport den es gibt, sind immer ein Abenteuer, da es weder einen Fahr- noch Linienplan gibt. Man ist darauf angewiesen, dass die Tipps zum Aus- und Umsteigen stimmen und dass dort tatsächlich der Bus vorbeikommt und anhält den man braucht. Außerdem stehen Busse im selben Stau wie Autofahrer, da diese ehemals exklusive Busspuren schon seit kurz nach deren Einführung für sich beanspruchten. Wenn ich nach Feierabend noch in den Park oder gar an die Ponta-Negra wollte würde ich mindestens eine Stunde mit dem Auto im Stau oder 2 Stunden im Bus stehen. Aktive Verkehrsteilnahme erfordert hier ein sehr hohes Mass an Konzentration und birgt eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit in einen Unfall verwickelt zu werden. In den letzten 32 Jahren in Deutschland habe ich nicht so viele Unfälle mit Verletzten gesehen wie in einem Jahr Manaus, die Fahrer verhalten sich sehr rücksictslos und es gilt das Recht des Stärkeren: Kleinwagen gewinnt gegen Fussgänger, Pick-Up schlägt Kleinwagen und Lastwagen dominiert alle. Auf den Strassen Rad zu fahren ist ein Risiko das ich nicht eingehen will, auf der Fahrbahn ist ein “Unfall” vorprogrammiert und am rechten Rand der Fahrbahn zu fahren ist ausgeschlossen weil sich dort Löcher mit Baustahlresten auftun in die leicht ein Fahrrad passt. Bleibt die Möglichkeit zu Fuss zu gehen.

Obwohl die Mehrheit der Bürger kein Fahrzeug besitzt sind die Bürgersteige in einem prekären Zustand und Zebrastreifen oder gar Fußgängerampeln sind eine Seltenheit. Einer Studie zur folge hat Manaus die schlechteste Infrastruktur für Fußgänger überhaupt [acritica].

An vielen Straßen fehlen Bürgersteige. Wenn Bürgersteige vorhanden sind werden sie von Reifenwerkstätten oder Imbissbuden als teil ihres Betriebsgeländes genutzt. Im März bin ich musste ich auf die Strasse ausweichen, weil der Bürgersteig zugeparkt war, was zur Folge hatte, dass mich ein Autofahrer als “filho da puta” auf deutsch “Hurensohn” beschimpfte. Sollte der Bürgersteig nicht belagert sein, finden sich dort Stahlspitzen bewehrte Löcher. Gefahr droht zumindest großen Menschen auch auf Kopfhöhe (Drähte, Nägel, Blechdächer…) Spazieren gehen in Manaus ist eher ein Abenteuer als leichte Entspannung. Der Sinneseindrücke eines Spaziergangs sind ebenso wenig entspannend. Obwohl die Müll fast täglich abgeholt wird und lediglich eine pauschale Gebühr erhoben wird sind die Straßen voll von Unrat und dessen Geruch. Plastiktüten, Dosen, Flaschen, Elektrogeräte und Autoreifen werden von den Bürgern einfach auf der Straße oder Bürgersteig entsorgt, irgendjemand wird es ja wohl wegräumen. Dieser Jemand ist die Stadt. Im Viertel wurde vor kurzem groß geputzt und es sah 2 Wochen lang auch ganz gut aus, mittlerweile ist die Situation schmutzig wie zuvor. Direkt vor unserer Wohnanlage ist eine stark frequentierte Bushaltestelle. Es gibt dort keinen Mülleimer aber mehrere fliegende Händler die Snacks verkaufen. Der Leser darf sich ausmalen, wie es dort morgens aussieht.

Manaus ist jung, viele Stadtteile sind jünger als 30 Jahre, das Land wo die Wohnviertel entstehen ist fast umsonst und dennoch wird bei der Stadtplanung keine Raum für Parks, Grünanlagen, Radwege oder das spätere Verlegen von Personennahverkehrsstrecken vorgesehen. Am Geld kann es nicht liegen, Manaus hat das viertgrößte Steuereinkommen Brasiliens [d24am], und liegt damit vor Belo Horizonte und Curitiba. Auch unter Betrachtung des Pro-Kopf-Einkommens ist Manaus nicht arm, mit 23kR$ liegt es weit vor Belo Horizonte (18kR$) und Florianopolis (20kR$) [IBGE(pdf)].

Moema (SP) hat eine sehr hohe Bevölkerungsdichte, die Straßen sind schmaler und trotzdem sind die Radwege frei, die Autofahrer sind rücksichtsvoll, und trotz der Parkplatznot sind die Bürgersteige auf beiden Seiten nicht zugeparkt. In der Stadtverwaltung von Manaus, herrscht leider wie in vielen anderen Städten die Korruption, aber auch ohne dieses Problem kann die öffentliche Hand nicht alle Probleme lösen. Eine Stadt ist zunächst nur eine Ansammlung von Gebäuden, es sind die Einwohner die ihr ein Gesicht geben. Es liegt in der Hand eines jeden einzelnen wie er mit öffentlichem Raum umgeht, ob er ihn nur nutzt oder auch pflegt oder zumindest nicht schlechter zurücklässt als er ihr vorfindet. Die Stadt gehört ihrern Bürgern, das bedeutet nicht dass jeder damit umgehen wie mit seinem Eigentum sondern dass er es behandeln soll als gehöre es seinem Nachbarn. Viele Bürger mit denen ich gesprochen habe, meinen Manaus sei nicht so schlecht, die Stadt sei relativ sicher, ich weis nicht woher dieses Argument stammt. Allein dieses Jahr gab es bereits 569 Morde [d42am] und die Verbrechensstatistik belegt, dass es nicht besonders sicher ist [sangari 2011(pdf)].

Man sagte mir auch der Verkehr sei in anderen Städten schlimmer, und die Strassen viel schmutziger Ich weis es nicht, ich war nie dort aber ich stelle mir vor, dass Mogadischu viel gefährlicher ist, das Calcutta noch viel schmutziger ist und das Verkehrschaos in Moskau alles in den Schatten stellt. Aber andererseits ist der Zustand von Mogadischu, Mumbai und Moskau für mein Leben auch nicht relevant, ich lebe in Manaus. Ich bin mir bewusst, dass ich keine europäischen Massstäbe an Manaus anlegen kann, aber ich finde Manaus sollte sich mit Städten mit ähnlichem Einkommen und Grösse vergleichen. In Manaus wurde die erste Universität Brasiliens gegründet, es gab Trambahnen und Alleen, was wurde daraus?

Leitspruch der Verwaltung: Sie verdienen eine bessere Stadt

Ich wünsche mir, dass der Verkehr so gut fließt wie in Salvador. Dass das Zentrum etwas mehr der Fussgängerzone von Florianopolis gleicht, dass vielleicht nur soviel Müll auf der Strasse liegt wie Belo Horizonte. Ich wünsche mir es gäbe wie in an der Orla von Maceió einen Radweg, von Ponta Negra über Educandos bis Mauazinho und eine Möglichkeit mit dem Rad zum Radweg zu kommen. Ich wünsche mir in einer Stadt zu wohnen wo ich Mensch sein kann ohne ein Auto zu brauchen,das mich vor den Mitmenschen schützt. Ich wünschte ich wäre woanders. Die Stadtverwaltung hatte es richtig formuliert: “Você merece uma cidade melhor”